Kategorie der Aktivität:Wie das Hobby zum Beruf werden kann
Bezeichnung der Aktivität:Seinen Lebensweg finden und ihn gehen
Beschreibung der Aktivität:Leben ist, was man daraus macht
Erfolgserlebnisse und ErgebnisEin Franke doziert in Wohnzimmern
Über lange Jahre war der Bamberger Helmut Pfleger das Gesicht im deutschen Bildungsfernsehen. Belehrend ist er nie geworden. Obwohl nicht mehr im TV vertreten, erinnern sich noch viele an die ihm eigene Art aus Kompetenz, Bescheidenheit und stillem Humor.
Ist das nicht der freundliche Herr mit der Brille? Dem konnte ich manchmal stundenlang zuhören, ohne etwas zu verstehen, erhält man noch heute oft zur Antwort, wenn das Gespräch auf den Mann kommt, der jahrelang in deutschen Wohnzimmern komplizierte Zusammenhänge so erklärte, dass er zwei Sorten Zuhörer fesselte: die, die verstehen lernten und die, die trotzdem lauschten.
Dr. Helmut Pfleger (*1943) kann erzählen. Das tut er auf unterschiedlichsten Gebieten. Er gehört zu den Menschen, bei denen Gespräche von der Inhaltsebene schnell auf die Beziehungsebene wechseln dürfen. Als Mensch, Psychotherapeut und Mediziner bringt er seinem Gegenüber Freundlichkeit, Anteilnahme und Aufmerksamkeit entgegen. Als Schachgroßmeister half er, diesen Sport beliebter und beachteter zu machen. So war der Mann, der nur zufällig nicht in Bamberg geboren wurde, eine glückliche Wahl für die deutsche Fernsehlandschaft des BR und WDR. In der bekannten Reihe Telekolleg vermittelte der Franke über Jahre verständlich Wissen zu Biologie, Chemie oder Bewegungstherapie. Immer ein wenig verschmitzt, immer unaufgeregt souverän. Das Verschmitzte in Verbindung mit Sachverständnis war so seine eigene Note auch bei den Schachsendungen, bei denen es Bauern-, Turm- und Königsdiplome zu erringen gab. Mitmachfernsehen. Anregend, vergnüglich, wertvoll. 1981 erhielt Pfleger den begehrten Medienpreis Goldener Gong für Schach zum Anfassen und steht als Preisträger z. B. in einer Reihe mit Peter von Zahn, Dieter Kürten, Thomas Gottschalk, Rudi Carrell, Friedrich Nowottny oder Dieter Kronzucker.
Wer erinnert sich nicht an die WDR-Fernsehserie Schach der Großmeister? Von 1983 bis 2005 wurde alljährlich eine Partie um den Fernsehschachpreis des WDR live (mit verkürzter Bedenkzeit) übertragen. Moderator war Claus Spahn, aber launig erklärt wurden die Partien zwischen den Weltstars dieses Sports von Helmut Pfleger und seinem Großmeisterkollegen Vlastimil Hort. Neben beinharter Einschätzung der Stellungen, klang für den interessierten Zuschauer auch immer die unterhaltsame Schnurre der geistreichen Anekdoten aus der faszinierenden Zauberwelt der Schachgeschichte samt ihrer Helden, Glanzpunkte und Tragödien durch. Denn Pfleger ist ein Anekdotenkenner, einer, der en passant zu würzen verstand. Eine Fernsehsendung lang jährlich (1983-2005) verdankten Millionen Zuschauer in Deutschland dem Bamberger die Illusion, die Strategien, Pläne, Taktiken und Variantenberechnungen der Karpows, Kramniks, Kasparows oder Anands wirklich verstehen zu können, half er, ihnen diese spannende Welt einen Spalt weit aufzuschließen.
All diese Kommentatorentätigkeiten lassen beinahe vergessen, dass Pfleger selbst ein bärenstarker Spieler ist. Er hat mit so vielen Großen dieses Sports Bekanntschaft geschlossen oder die Klingen gekreuzt. In der Bundesliga genauso wie auf Turnieren rund um die Welt. Zwischen 1964 und 1985 nahm der Bamberger an sieben Schacholympiaden, vier Mannschafts-Europameisterschaften und einer Mannschafts-Weltmeisterschaft teil, wobei er eine unverzichtbare Säule der Mannschaft war, die 1964 den 3. Rang bei der Olympiade gewann. 1975 wurde ihm für seine herausragenden Leistungen als Schachsportler der Großmeistertitel verliehen. Besonders in diesem seinem Sport trug sich einstmals auf 64 Feldern auch der Ost-West-Konflikt aus. Begegnungen mit dem Dissidenten und Vizeweltmeister Viktor Kortschnoi und dem als systemtreu geltenden Anatoli Karpow machten Pfleger zu einem Zeitzeugen und ließen ihn die Brisanz mancher WM-Kämpfe eindringlich schildern. Als Sachbuchautor hat er sich dadurch gleichfalls einen Namen gemacht. Zahlreiche Schachbücher hat er mit Ko-Autoren gestaltet, unter ihnen sogar eines mit - Ephraim Kishon! Bücher unter seiner Mitwirkung zählen im deutschsprachigen Raum zu den beliebtesten Schach-Lehrbüchern.
Noch heute ist Helmut Pfleger diesem Sport verbunden, denn seit Jahren zeichnet der nach wie vor praktizierende Arzt im bedeutenden Wochenmagazin DIE ZEIT für die Schachkolumne verantwortlich. Auch wenn er heute aus beruflichen und familiären Gründen in München lebt, so gesteht er gerne, dass ihm doch immer wieder das Herz aufgeht, wenn er in seine fränkische Heimat zurückkehrt, wenn vertraute Bauwerke und Landschaften an ihm vorüberziehen und ihn auf sein Bamberg einstimmen. Ab und zu muss der Mann nämlich heimkehren. Er wird nämlich gebraucht. In seiner Alt-Herren-Hobby-Fußballmannschaft. Er spiele nicht gut, gesteht Pfleger. Aber leidenschaftlich. Das verschmitzte Plaudern ist dem Bamberger erhalten geblieben.
Interview von und mit - Markus Häggberg